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Gedanken zum Jahreswechsel 2009 / 2010

Montag, 28. Dezember 2009

Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen.

Wieder ist mir ein Jahr genommen. Das Jahr 2009. Ein Jahr meines Lebens. Ob du zwanzig bist oder achtzig. Jedem Menschen wird die Zeit genommen.

Das wirkt bedrohlich und unausweichlich und irgendwie auch unbarmherzig.

Die Zeit nimmt mir die Jahre, sagt Andreas Gryphius, ein Dichter aus dem 17. Jahrhundert.

Wann nehme ich mir die Zeit, darüber nachzudenken, wer oder was mir die Jahre nimmt? Das ist einfach so, dass Zeit vergeht. Das gehört zu ihrem Wesen. Anders kann ich Zeit gar nicht fassen, als dass sie vergeht: Gestern, heute, morgen. Oder: vorhin, jetzt, demnächst. Ein beständiges Fließen - im gleichen Takt und Rhythmus der Zeit.

  • Selbst, wenn ich die Zeit vergesse, weil das Glück des Lebens alles überstrahlt;
  • selbst, wenn die Zeit still steht, weinn ein Unglück über mich hereinbricht;
  • selbst, wenn die Zeit keine Rolle spielt, sofern nur das geschieht, was mir wichtig ist - die Zeit rinnt weiter: Tag um Tag, Jahr um Jahr.

Und manchmal, wie jetzt am Ende eines Jahres, stehe ich nachdenklich vor der Frage: Wo ist die Zeit dieses Jahres geblieben? Wof&uumml;r habe ich mir die Zeit genommen? Oder ist mir die Zeit nur genommen worden?

Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen. Andreas Gryphius lässt keinen Zweifel zu: Nicht ich verfüge über die Zeit, die Zeit verf&uu,l;gt über meine Jahre: sie nimmt sich Jahr um Jahr.

Aber wer oder was sit das denn: die Zeit?

Meine Jahre sind meine persönliche Zeit. Zeit, die mir gehört, mir gegeben ist, mir zusteht: meine Lebenszeit. Und es liegt an mir, was ich aus meiner Zeit mache, wofür ich mir Zeit nehme, womit ich meine Zeit verbringe.

Der jährliche Geburtstag macht mir bewusst, wie und dass meine Zeit vergeht. Der Wechsel eines Kalenderjahres lässt meine Zeit eingehen in die Zeit, die wir in Jahrzehnten, Jahrhunderten, Jahrtausenden und mehr zu fassen versuchen.

Der unfassbare Zeitraum wird dann in unserer Sprache zur Ewigkeit.

Die kleine Ewigkeit, bis ich dich wieder sehe. Die große Ewigkeit, in der ich begreife, was und wer die Zeit ist.

 

Dienstag, 29. Dezember 2009

Mein sind die Jahre nicht, die etwa möchten kommen.

Wie viele Jahre werden noch auf mich zukommen. Ich weiß es nicht. Kein Mensch weiß das. Die Diagnose einer todbringenden Krankheit kann die Frage von Jahren auf Monate, Tage verkürzen.

Die Zukunft ist unverfügbar: Mein sind die Jahre nicht, die etwa möchten kommen. Andreas Gryphius, der diese Zeile dichtete, setzt der grundsätzlichen Unverfügbarkeit der Zukunft ein behutsames Wünschen entgegen: Was – in etwa – möchte ich denn, das im nächsten Jahr auf mich zukommt?

Das ist eine reizvolle Suchrichtung. Gegen die eher bedrückende Ungewissheit kommt meine Fantasie und Kreativität ins Spiel: Was ich mir wünsche von meinem Leben. Oder: Womit ich mehr Zeit verbringen möchte als bisher. Oder: Wie ich noch ganz anders mit mir, mit meinen Lieben, ja auch mit meinem Nachbarn und Arbeitskollegen umgehen kann.

Was möchte da alles kommen, wenn ich mich dafür öffne, wenn ich mich auf meine anderen Fähigkeiten besinne, wenn ich den Mut aufbringe, mich mal ganz anders zu geben.

Die Zukunft ist nicht im Voraus machbar. Und doch bin ich ihr nicht schicksalhaft und tatenlos ausgeliefert. Jede Zukunft birgt in sich die Chance, sich neu, sich anders zu entfalten. Sich von verkrusteten und lähmenden Gewohnheiten zu lösen. Mit der in mir angelegten und schlummernden Vielfalt Leben zu gestalten, wie es von Gott gedacht und gewollt ist und mir und meinen Mitmenschen gut tut.

Mein sind die Jahre nicht, die etwa möchten kommen. Andreas Gryphius warnt vor einer überheblichen Fehleinschätzung: Ob und wie viel Zeit dir dafür bleibt, deine Wünsche an dein Leben zu realisieren, steht nicht in deiner Macht.

Das scheint nur auf den ersten Blick eine pessimistische Weltsicht zu sein. Im Grunde ist dieser Hinweis jedoch ein kräftiger Motivationsschub, das, was etwa noch von dir gelebt werden möchte, nicht auf den St. Nimmerleinstag zu verschieben.

 

Mittwoch, 30. Dezember 2009

Der Augenblick ist mein.

Andreas Gryphius, aus dessen Gedicht diese Aussage entnommen ist, schätzt unsere Lebenswirklichkeit realistisch ein: Vergangenes zu ändern, ist niemandem möglich. Zukünftiges entzieht sich meiner Verfügung. Allein der gegenwärtige Augenblick unterliegt meinem Gestaltungswillen. Der Augenblick ist mein.

Ein Augenblick ist kurz. Gemessen in unserer Zeiteinteilung der Bruchteil einer Sekunde. Ein Wimpernschlag. Gemessen in unserer Lebenserfahrung wird der Augenblick jedoch zu der Lebenszeit, in der Zeit keine Rolle mehr spielt.

Augenblicke der Liebe werden nicht in Sekunden, Minuten oder Stunden erfasst. Diesen Augenblicken wohnt der Zauber einer unermesslichen Tiefe inne.

In Augenblicken der Trauer steht die Zeit still. Meine Eltern hielten den Perpendikel der großen Standuhr an, als mein Großvater gestorben war.

Wer trauert oder einfach nur traurig ist, verliert den üblichen Lebensrhythmus von essen, arbeiten und schlafen und gibt sich ganz seinem Schmerz hin.

Der Augenblick ist mein. Der Augenblick, in dem ich ganz zu mir finde, ob in Freude oder in Leid, lässt mich Leben unmittelbar, ungebrochen, ganz rein empfinden.

Diese Augenblicke des Lebens sind nicht einfach gleichzusetzen mit der Gegenwart. In der Gegenwart gibt es so viele verlorene Augenblicke des Lebens: Im Verkehrsstau auf der Autobahn nach Hamburg, beim Warten auf den Freund, der mal wieder zu spät zum verabredeten Termin kommt, beim Zappen durch die Fernsehprogramme. Es war verlorene Zeit, sagen wir, wenn nichts dabei herausgekommen ist, obwohl alle gegenwärtig waren, die an einem Ende der Streitigkeiten interessiert waren.

Wenn ich mir verlorene Zeit vergegenwärtige, spüre ich, wie mich das schmerzt und bedrückt.

Der Augenblick ist mein. Ich weiß, es liegt sehr viel an mir, dass aus immer neu werdender Gegenwart Augenblicke meines Lebens werden.

 

Donnerstag, 31. Dezember 2009

Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen.

Mein sind die Jahre nicht, die etwa möchten kommen.

Der Augenblick ist mein. Und nehm ich den in Acht,

so ist der mein, der Zeit und Ewigkeit gemacht.

In einem Augenblick entscheidet sich für mich mein Verhältnis zu Zeit und Ewigkeit. Auf diese Aussage läuft es hinaus in dem Gedicht des Andreas Gryphius aus dem Jahr 1663.

Die vergangene Zeit, die kommende Zeit oder gar die Ewigkeit entziehen sich meinem gestalterischen Zugriff. In großen Augenblicken des Lebens scheint die Zeit zu verweilen: Als ob dieses alles Leben gleichmäßig zermahlende Maß außer Kraft und Betrieb gesetzt ist. Die großen Augenblicke des Lebens werden nicht in Zeiteinheiten gemessen. Sie erstrahlen, weil wir ungeteilt achtsam sind für das, was im Augenblick ansteht.

Wenn zwei Herzen ungebrochen wachsam füreinander sind, spüren Liebende, wie innig solche Lebensaugenblicke sind.

Leidende fühlen sich in solchen Augeblicken getröstet, wenn ein Mensch mit ihnen sorgfältig und uneingeschränkt solidarisch ist.

Menschen, die sich verloren glauben, finden in solchen Augenblicken Halt, wenn sie die Gewissheit spüren, dass Gott wach ist und sie nicht aus den Augen lässt.

Wer diese Augenblicke des Lebens achtet, wird Zeit und Ewigkeit seines Lebens anders gewichten. Das nach Gottes Maß liebevoll und achtsam Gelebte durchzieht Zeit und Ewigkeit. In jedem Augenblick, der sich dafür bietet. Und ohne auf die zeitmessende Uhr zu schauen.

Das geht, sagt uns Jesus und zeigt uns auch wie.

Der Abend des alten Jahres wird kommen. Und nach ihm die Zeit eines neuen Jahres. Ich wünsche Ihnen die Achtsamkeit für die Augenblicke Ihres Lebens. Die bleiben Ihnen zueigen - in Zeit und Ewigkeit.

 

Samstag, 2. Januar 2010

Das neue Jahr beginnt mit einer Einladung zur Entschleunigung: gestern ein Feiertag, heute ein Samstag, morgen ein Sonntag. Drei Tage ohne die übliche Beschleunigung, mit der wir durch die Gegenwart der alltäglichen Anforderungen hetzen. Einfach drei Tage zur Ruhe kommen. Dem Diktat der schnellen und kurzfristigen Termine und Ereignisse entkommen. Mal nicht dem hinterherlaufen, was man irgendwie noch schaffen sollte.

Mit Ruhe ein neues Jahr beginnen – das bietet die Chance, sich zu besinnen. Die vielen kleinen Geschichten des vergangenen Jahres wollen verknüpft sein mit der großen Geschichte meines Lebens. Die einzelnen und auch vereinzelten Ereignisse, Begegnungen und Erfahrungen können in Ruhe darauf abgetastet werden, wie sie sich sinnvoll in die Erzählung meiner höchst eigenen Lebensgeschichte fügen.

Was ich von mir erzähle, das macht mich zu der unverwechselbaren Person, die ich bin und die ich sein will. Mit dem roten Faden, der sich durch meine Erzählungen zieht, gewinnt meine Identität ihr Profil.

Die drei Ruhetage zu Beginn dieses neuen Jahres laden dazu ein, aus der Entschleunigung heraus mit Lust und Langmut dabei die Spreu vom Weizen zu trennen. Längst nicht alle Geschichten des vergangenen Jahres lassen sich in den Erzählfaden meiner großen Lebensgeschichte einpassen. Das hohe Lebenstempo und die sich immer stärker beschleunigenden Kommunikationskanäle hinterlassen viele unausgelebte, abgerissene, hingefetzte Lebensabläufe. Da hätte ich mir mehr Zeit nehmen müssen, um das Gespräch mit der Tochter oder der schwer erkrankten Freundin im Einklang mit meiner lebensgeschichtlichen Identität auszuleben.

Die Geschichte meines Lebens geht weiter. Die Beschleunigung wird bald schon wieder kommen.

Nach sechs Werktagen gönnt Gott sich einen Tag der Entschleunigung. Aus der Ruhe des siebten Tages erkennt Gott, dass sein bisheriges Wirken einem guten Konzept folgte.

Vielleicht verschafft Ihnen die – auch im neuen Jahr - sonntäglich wiederkehrende Entschleunigung den Zugang dazu, in Zukunft sorgfältig darauf zu achten, sich nicht in Geschichtchen zu verlieren, sondern dichter am roten Faden Ihrer großen Lebensgeschichte zu bleiben.

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